Gesellschaft formen durch Gestalten
Kuratorisches Konzept für die künstlerische Projektleitung der Silk City Gallery im Joseph-Beuys-Jahr
Bevor ich mein kuratorische Konzept der Silk City Gallery vorstelle, möchte ich gerne auch die Vorgeschichte dazu erzählen:
Ich bin im Juni 1986 also im Todesjahr von Joseph Beuys geboren. Wir hätten uns quasi beide den Hut ziehend auf der Schwelle zum und vom Leben begrüßen können. Leider habe ich keinerlei Erinnerung an eine solche Begegnung. Meine erste Erinnerung zu Joseph Beuys stammt hingegen aus Grundschulzeiten in meiner Heimatstadt Kevelaer am Niederrhein, als mein bester Freund mir amüsiert von einem Kunstwerk berichtete, welches von einer Putzfrau irrtümlich aus einer Ausstellung entfernt wurde. Es handelte sich um die berühmte Fett Ecke von Joseph Beuys. Seine Eltern waren in der besagten Ausstellung in Düsseldorf und haben ihm von der Geschichte erzählt.
Als ich dann viele Jahre später im Mai 2010 bei einem Studienaufenthalt in London eher zufällig über eines seiner Werke bei einem Besuch der Tade Modern Gallery stolperte, erinnerte ich mich sofort wieder an den Künstler der Fett Ecke und an jenes frühkindliche Amüsement.
Das Werk, welches ich dort von ihm sah, war die Installation mit dem Titel: „The pack“ – übersetzt „Das Rudel“, die mich unmittelbar bewegte und die ich zur Erinnerung fotografierte. 3 Aufnahmen aus verschiedenen Perspektiven. Es blieb in dem Moment ein humorvolles Mysterium für mich und war dann doch trotz Fotografie schnell wieder vergessen. Bis ich mich 2019 wieder näher mit dem Künstler befasste.
Anlass meiner Recherche über Joseph Beuys war ein Diskussionsforum vom Fachbereich Design der Hochschule Niederrhein und des Kultur Büros der Stadt Krefeld in seiner 70. Ausgabe zum Thema Joseph Beuys mit Magdalena Holzhey und Erik Schmidt am 28. November 2019 in der Fabrik Heder. Dabei kam unter anderem die Frage auf, wo ist Beuys heute? Oder wo sind die Beuys Künstler von heute? Ich stellt mir selbst die Frage und dachte an die 200m entfernte Downtown Gallery – eine Streetart Ausstellung, die über den Sommer für Jeden frei zugänglich war und die ich als gegenwärtiges Beispiel zum Denken anregender kreativer Intervention mitten in unserer Gesellschaft erfahren habe. Als ich zum Abschluss erfuhr, dass 2021 anlässlich seines 35. Todestages und 100sten Geburtstag ein Joseph Beys Jahr in Krefeld zelebriert werden sollte, fasste ich noch am gleichen Abend den Entschluss über die Arbeit des Künstlers genauer zu recherchieren und die Nähe unserer Streetartbewegung zu den Ideen von Joseph Beuys bei einem weiteren bereits in Planung befindlichen Streetart Gallery Projektes der „Silk City Gallery“ sichtbar zu machen und den öffentlichen Diskurs darüber zu entfachen. Ich freute mich sehr, dass das Stadtmarketing Krefeld die Idee sehr begrüßte.
Projektbeschreibung
Die Silk City Gallery wurde als 4. Streetart Gallery Projekt im Rahmen des Krefelder Perspektivwechsels vom Stadtmarketing Krefeld veranstaltet und in Zusammenarbeit mit mir als künstlerische Leitung sowie mit zahlreichen professionellen Streetartkünstlern und weiteren Partnern umgesetzt. Die Veranstaltungsreihe erlebte ihren Höhepunkt im Beuys Jahr 2021.
Rund 30 lokale, nationale und internationale Künstler*Innen unterschiedlicher Altersgruppen haben unter dem Motto „Gesellschaft formen durch Gestalten“ im Miteinander aber in der je eigenen Stilrichtung durch erlebbare und zum Nachdenken anregende Malerei die Gebäudefassade des Seidenweberhauses in Krefeld gestaltet.
Das Besondere ist, dass unter meiner Leitung das Miteinander selbst, also der co-kreative Prozess dabei zur Kunst und zum Ereignis wurde. Bildideen, Gedanken und Konzepte der Künstler trafen aufeinander, inspirierten, wurden weitergedacht, gemeinsam ausgearbeitet und erst vor Ort finalisiert.
Besucher*Innen und Passant*Innen wurden Teil eines öffentlichen kommunikativen Begegnungsraumes, bei dem Kunst durch ihren Eingriff in die Gesellschaft zum sozialen Prozess wurde.
Und schon sind wir bei dem Geburtstagskind Joseph Beuys, der diesen sozialen Prozess die Gestaltung der sozialen Plastik nannte. Nach seinem Konzept der Sozialen Plastik, wird die Gesellschaft durch kreatives Handeln und Denken geformt: „Da, wo gegenwärtig die Entfremdung zwischen den Menschen sitzt – man könnte fast sagen als eine Kälteplastik – da muss eben die Wärmeplastik hinein. Die zwischenmenschliche Wärme muss da erzeugt werden. Das ist die Liebe“ (Beuys zit. aus Blume/Nichols 2008, 198) Ganz im Sinne von Beuys wurde ein städtischer erkalteter Raum, durch kolaborative Mitgestaltung von der KünstlerInnengruppe regelrecht angeeignet und zu einem wärmeren Begegnungs- und Kommunikationsraum transformiert. Aber nicht nur an dieser Stelle kann man eine Verbindung zu Beuys Gedankengut bei diesem Projekt erkennen.
Bei meiner Recherche erfuhr ich, dass laut Joseph Beuys gerade Notsituationen großes kreatives Entwicklungspotenzial bergen. Das sind hoffnungsvolle Nachrichten, denn wir erleben gerade hautnah zahlreiche Krisen: Z.B. eine enorme Gesundheits-, Klima-, Umwelt- und Wirtschaftskrise sowie eine Verstummung und Existenzkrise des Kunst und Kulturbetriebes.
Ein starker Standort mit Symbolcharakter in einer besonderen Krisenzeit
Das Seidenweberhaus ist ein Veranstaltungshaus der Stadt Krefeld, in dessen Räumlichkeiten neben Messen, Tagungen und Konferenzen auch bereits zahlreiche Kunst- und Kulturveranstaltungen stattgefunden haben. Es war somit immer ein Ort der Zusammenkunft, des gesellschaftlichen und kulturellen Austausches und der Kommunikation. Das Gebäude soll in naher Zukunft abgerissen und durch dieses Kunstprojekt öffentlich verabschiedet werden. Der dem Gebäude bevorstehende Abriss, unterstützte durch seinen Symbolcharakter unterschwellig die Vergegenwärtigung und Verstärkung des Gefühls einer Notsituation.
Projektfolge als Zeichen künstlerischer Invasion und Intervention in der Gesellschaft
Der terminliche Zufall wollte es wohl so, dass unsere Gallery Projektfolge gerade im Beuys – und Krisenjahr, einen Höhepunkt der künstlerischen Intervention inmitten der Gesellschaft erfuhr.
Denn wenn man mal zurückblickt bemerkt man, dass die Streetartkünstler*Innen 2015 bei der Wood Art Gallery zunächst noch im naturnahen Stadtrandbezirk am Hülser Berg gewirkt haben, sich aber 2017 mit der Rhine Side Gallery bereits in dem Stadtteil Krefeld Uerdingen, einem bewohnten Wohn- Wirtschafts- und Industriestandort künstlerisch ausdrücken durften. Noch etwas im Verborgen und teils unterirdisch transformierte die Künstler*Innengruppe 2019 dann eine Bunkeranlage in der Stadtmitte Krefelds in die Down Town Gallery, die eine verbildlichte Gesprächsrunde über gegenwärtige Gesellschaftsprobleme und Zukunftsutopien darstellte.
Ähnlich einer stetig voranschreitenden künstlerischen Stadtinvasion bzw. ähnlich dem Konzept „the pack“ von Joseph Beuys, ein Schlittenrudel, welches zur Rettung in der Not ausschwärmt, hat die Künstler*Innengruppe mit der Gestaltung des Seidenweberhauses nun auch künstlerisch inmitten des öffentlichen Raumes des Stadtzentrums intervenieren.
Diesmal wurden an einem Ort der Zusammenkunft, des gesellschaftlichen und kulturellen Austausches und der Kommunikation starre Betonstrukturen optisch aufgeweicht, geformt und mit Kunst verändert.
Von der künstlerischen Transformation des Gebäudes hin zu einer Transformation des öffentlichen Raumes und Lebens
Das Projekt regte in diesem Beuys Jahr ganz besonders die Diskussion an, in wieweit einige Grundideen von Joseph Beuys in der Streetart Gallery Reihe einen lebendigen Widerhall erfahren.
Angeregt wurde diese Diskussion auch dadurch, dass ich zur Design Discussion mit Eric Schmid in ihrer 77. Ausgabe eingeladen wurde, die im Projektzeitraum auf dem Theaterplatz stattfand.
Die Projektreihe machte erlebbar und nachvollziehbar, dass Streetart inmitten unserer Gesellschaft im Stande ist, breite Teile der Gesellschaft zum Nachdenken und zu Perspektivwechseln anzuregen und damit zu formen und zu gestalten. Ziel ist es neben der Begeisterung für diese Kunstform, ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie wichtig es ist, mit Kunst und Kultur im öffentlichen Raum kreative und sinnstiftende Impulse auszulösen, Begegnungen, Meinungsäußerungen und Diskussionen zu ermöglichen, sowie Menschen zu motivieren und zu befähigen selbst im Rahmen ihrer Möglichkeiten künstlerisch, kreativ tätig zu werden. Auf diese Weise kann jeder die Gesellschaft mitgestalten und ganz im Sinne von Joseph Beuys einen Teil seiner Verantwortung für sein Leben und die Welt tragen.
Jeder Künstler zeigt seine eigene Welt, seine Utopien, Erfahrungen, Empfindungen und Sehnsüchte. Es gibt so viele Darstellungen und Möglichkeiten, wie es Künstler gibt und aus diesem Pool kreativer Energie und Gedankenanstöße müssen wir schöpfen, denn sie regen die Menschen unserer Gesellschaft zum Nachdenken, zum Fühlen und manchmal auch zum Handeln an.
Gerade vor dem Hintergrund der durch Corona bedingten Verstummung und Existenzkrise des Kunst- und Kulturbetriebes, versucht das Projekt somit auch die gesellschaftliche Aufgabe und Systemrelevanz des Kunst- und Kulturbetriebes vor Augen zu führen.
Unterstützt wurde ich in meiner Arbeit von Projektassistentin Berit Rother und dem Fotografen Malte Fiedler.
Über die einzigartige Gelegenheit und auch über das Vertrauen welches der internationalen Künstlergruppe und mir von Frau Neidhardt der Leiterin vom Stadtmarketing Krefeld und Herrn Keusch dem Leiter des Seidenweberhauses entgegengebracht wurde, haben mein Künstlerteam und ich uns sehr gefreut.
Ein Ausstellungs – Rundgang mit der künstlerischen Leiterin Fredda Wouters
Die nun folgenden KünstlerInnengedanken sollen dem Ausstellungsbesucher erweiterte Möglichkeitsräume für eigene Bilderfahrungen eröffnen, und sind keinesfalls als fixe Interpretation zu verstehen. Es empfiehlt sich zunächst eine unvoreingenommene eigene sinnliche Betrachtung und Reflektion der Werke vor dem Hintergrund der eigenen Lebenswirklichkeit und erst danach die Künstlergedanken hinzuzunehmen.
Vanessa und Lydia Hitzfeld aus Kevelaer thematisieren gleich unserem Projektausgangspunkt eine invasive Raumaneignung mit ihrem Sibticus – ein 7-armiger Kraken, der alle Gebäudestockwerke einnimmt. Der Fotopunkt der anamorphen Malerei, welche sich nur hier optisch zu einem zusammenhängenden Monster zusammenfügt, befindet sich auf dem Vorplatz inmitten des sozialen Brennpunktes.
Ihre Katzenklappe, durch die eine Katze in das Gebäude verschwindet und an anderer Stelle wieder austritt, kommentiert Lydia Hitzfeld sehr passend zur ungewissen Projektausgangssituation folgendermaßen: „Manchmal weiß man nicht wohin einen der Weg führt aber es gibt immer einen Ausgang.“ Und so erkundetete erstmal jede KünstlerIn neugierig das Gebäude, ließ das Umfeld und die Künstlergemeinschaft auf sich wirken und fand letztlich einen Weg zu einem künstlerischen Ausdruck.
Cuboliquidos Roboter entstand z.B. aus der Neugierde zu sehen, wie es möglich ist etwas Vorhandenes des urbanen Raumes, wie einen Briefkasten in ein künstlerisches Design zu integrieren. Es ist ein perspektivisches Spiel und einfach ein lustiges Bild, welches die Menschen aufheitern und daran erinnern möchte, selbst auch öfter mal zu spielen, sinnlich wahrzunehmen und Ernsthaftigkeiten abzulegen. Cuboliquido liebt und sammelt Roboter Spielzeug und thematisiert diese häufig in seinen künstlerischen Arbeiten.
Martino Larocchia aus Berlin thematisiert mit seiner surrealistischen Malerei im Graffiti Stil einen Perspektivwechsel. Zu sehen ist Joseph Beuys mit einem Hasen auf dem Arm in Anlehnung an eine bekannte Performance von Joseph Beuys „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ Daneben erscheint ein Hase mit einem Totenschädel im Arm. Martino möchte damit aufdie Arroganz des Menschen verweisen, sich selbst und seine Bedürfnisse als Zentrum des Universums zu sehen. Daneben zeigt uns Daniele Lazazzara aus Italien ein surrealistisches Känguru, welches seinen Nachkommen im eigenen Körper Schutz bietet, so wie uns Menschen ein stabiles Zuhause Schutz bietet. Das Künstlerteam hat schon öfter zusammen gearbeitet und hier ihre individuelle Gestaltung farblich und thematisch aufeinander abgestimmt. Sie wünschen sich, dass sich die Betrachter eigene Geschichten und Interpretationen zu den Darstellungen ausdenken.
Kerim Musanovic aus Bosnien und Herzegowina zeigt uns die Fragilität des Schutzraumes des eigenen Zuhauses und erinnert mit seiner Darstellung eines versunkenen Fachwerkhauses an die derzeit aktuelle Flutsituation in Deutschland als Folge des Klimawandels. Er selbst und seine Familie hat durch den Bosnienkrieg (1992 bis 1995) sein Heim verloren, ist nach Deutschland geflohen und hat später mit seiner Familie wieder in Bosnien und Herzegowina von null angefangen. Er möchte sein Bedauern und Mitgefühl für die Flutopfer und Geschädigten ausdrücken und fordert gleichzeitig ein Umdenken. Er sagt die Natur bedroht den Menschen mit zunehmenden Katastrophen, weil der Mensch seinen Planeten bedroht anstatt ihn wie sein Zuhause zu schützen.
Auch Marion Ruthardt aus Duisburg führt uns mit ihrem Bild die Stärke der Natur vor Augen, welche trotz einengender und mit Emissionen belastender Industriebebauung und wirtschaftlicher Ausbeutung durch die menschliche Zivilisation, stark und unbezwingbar ist und den Menschen in seiner Existenz, die er selbst zerstört überdauern wird. Auch Marion wünscht sich einen sofortigen Kurswechsel glaubt aber selbst nicht mehr an ein glückliches Ende für die menschliche Zivilisation.
Michele Buscio aus Reichelsheim ließ sich von einer Malerei des futuristischen Malers Fortunato Depero inspirieren, weil ihm der Malstil sehr gefällt und er in seinem Bild einen starken, Mann erkennt, der trotz unruhigem Gewässer standhaft und selbstbewusst seinen Weg geht und Anderen eine Richtung weist. Er dachte bei der Gestalt an Joseph Beuys, der eine positive Entwicklung in der Gesellschaft durch künstlerisches Handeln und Denken vorantreiben wollte und viele Menschen auf den künstlerischen Weg gebracht hat. Als Künstler tätig zu sein, war ein lang gehegter Wunsch von Michele, den er sich erst im Rentenalter erfüllen konnte. Der kleine Mann im Boot, mit der für Michele typischen Mütze ist folglich eine Selbstdarstellung als Künstler, der heute abenteuerlustig dem künstlerischen Aufruf von seinem Vorbild Joseph Beuys (dem großen Mann im Boot) folgt.
Tiberio Mazzochi aus Italien nimmt mit seiner Malerei Bezug auf eine sehr bekannte Performance von Joseph Beuys: 1974 in New York lässt sich der Künstler zusammen mit einem Kojoten mehrere Tage in einem Käfig einsperren, um eine vertrauenswürdige Beziehung zwischen ihm und dem Tier aufzubauen als ein Symbol für die Aussöhnung zwischen Mensch und Natur. Aber das Werk kann auch politisch gelesen werden, wie eine Versöhnung zwischen den Amerikanern der Gegenwart und ihren Vorfahren, die verfolgt und wie Kojoten in Gefangenschaft in Reservaten eingesperrt werden. Tiberio fiel die Situation der sozialen Ausgrenzung rund um das Seidenweberhaus auf: „ Sie sind Vagabunden, verzweifelt, süchtig, von der Gesellschaft ausgegrenzt und vergessen, wie damals die indianischen Stämme Nordamerikas. Das Problem der Ausgrenzung besteht heute wie damals und ist zeitlos.“
Aus der berufsbedingten archäologischen Sicht befasst sich Fabio Fedele aus Italien mit der Reflektion über die Frage, was von unserer Existenz in ferner Zukunft als Zeuge übrigbleiben wird. Er gestaltete eine Allegorie der Zeit in Form der klassischen Darstellung eines alten geflügelten Mannes, der als Besonderheit ein Fossil in Händen hält. Das Fossil verweist auf unsere Zukunft, wie ein Paradoxon. Normalerweise denken wir bei einem Fossil an die Vergangenheit, weil das Fossil ein Zeitzeuge ist und als Fundstück eine ganze Population repräsentiert. „Wir können sicher sein, dass die menschliche Existenz in Zukunft ausgelöscht sein wird aber wir wissen nicht, was von unserer Existenz als Zeuge übrigbleibt.“
Julie Kirk Purcel und ihre Tochter Clancey Kirk aus den USA gestalteten zusammen mit Melina Berg aus Detmold die verschiedenen Stadien der Metamorphose einer Seidenspinnerraupe und thematisieren damit den Zyklus des Lebens. Als zweites Projekt gestaltete das Trio Gebäudesäulen zu Stiften und führte uns somit Kraft und Stärke der Kreativität als Stützpfeiler und Gestalter der Gesellschaft vor Augen.
Als einen sehr wichtigen Teil der Gesellschaft sieht Eduardo Relero aus Madrid die Persönlichkeiten der Drogen- und Obdachlosenszene von Krefeld und gibt einigen von ihnen ein Zuhause im Seidenweberhaus, weil er die Art und Weise, wie sie oft gleich einer urbanen Reinigungsaktion von Ordnungskräften zurückgedrängt werden nicht gefällt. Er möchte ihnen Würde geben und ihre Gesichter nicht verbergen. Ihn faszinieren und inspirieren ihre Persönlichkeiten und ungeschönten dramatischen physischen Gestalten, ihre Art zu gehen, zu witzeln und die Gesellschaft abzuwerten, die sie selbst abwertet. Aus Eduardos Sicht kann und sollte man diese Menschen nicht einfach unter den Teppich kehren. Auch die rohen aber wahren Aspekte des Lebens müssen für die Gesellschaft sichtbar sein. Die selbstzerstörerische Lebenswirklichkeit dieser Menschen löst Unbehagen aus und stellt damit das gesellschaftliche System welches diese Lebenssituationen produziert in Frage.
Auch Julia Bethke aus Krefeld möchte mit ihrer Darstellung gesellschaftliche Probleme sichtbar machen. Sie zeigt Joseph Beuys mit einer toten Biene im Arm und möchte auf die aktuelle sehr bedrohte Lage der Natur und Tierwelt auf unserem Planeten aufmerksam machen. Bienenwaben, die sie rund um Beuys und an verschiedene Stellen des Gebäudes malte, spiegeln die Architektur des Gebäudes wieder und stehen für Gemeinschaft, Zusammenhalt, Fleiß und Organisation. Das alles sind für sie wichtige Eigenschaften einer funktionierenden Gesellschaft, die sich umeinander, um den Erhalt der Natur und zukünftiger Generationen kümmert. Sie sagt „ In meinen Augen ist die menschliche Gesellschaft sehr egoistisch geworden und lebt ausschließlich im Hier und Jetzt, mit viel zu wenig Aufmerksamkeit und Fürsorge für die Zukunft“
Luisa Estrada aus Mexiko City lässt uns darüber nachdenken, dass jeder Ort seine eigenen Charakteristiken besitzt. Sie erklärte, dass es ihr als Besucherin und Entdeckerin der fremden Stadt leichter fiele die Ästhetik in den für lokale Menschen alltäglichen unbeachteten Dingen zu entdecken. Ihre für ihren Stil typische architektonische Schwarz Weiß Darstellung zeigt eine Vogelperspektive auf Gebäude entlang der Krefelder Blumenstraße.
Die Theatermalerin Franziska Weitzel aus Krefeld thematisiert mit Ihrer Arbeit ihre Vorstellung der Baufälligkeit eines Gebäudes und zeigt uns einen Zustand der natürlichen Vergänglichkeit, den das Gebäude gar nicht erst erleben wird, weil es vorher abgerissen werden wird. Dass die Natur das Gebäude zurückerobert ist für Franziska eine schönere Vorstellung als der bevorstehende Abriss. Nachdem sie ihre eigene Arbeit fertiggestellt hatte, half sie noch beim Sipticus mit.
Tanya Talanova aus der Ukraine möchte mit Ihren dratigen Händen berühren und dem vom Abriss bedrohten Gebäude sowie der Krefelder Gesellschaft die Hand reichen. Außerdem gestaltete sie dreidimensionale Hexagonöffnungen in die Fassade und eine Reihe von Beuys Hüten, deren Form sie ebenfalls nach und nach zu der Hexagonform des Gebäudes transformierte. Es wirkt so als wolle sie ihre kreativen Formen, Farben und Beuys‘ Identität mit der Architektur des Gebäudes verschmelzen, um dem Gebäude zu helfen.
Camilla Margarito aus Berlin thematisiert mit ihrer Malerei Situationen im Leben, in denen es auf die Zusammenarbeit und Kooperation von Menschen ankommt. In ihrem sehr starken Beispiel der siamesischen Zwillinge ist Kooperation existenziell. Ihre Darstellung erweckt auch den Gedanke, dass man zusammen stärker ist, als alleine aber auch dass jede Kooperation und menschliche Verbindung fragil ist und leicht zerbrechen kann. Nachdem sie ihre eigene Arbeit fertiggestellt hatte half sie noch beim Sipticus mit.
Alex Maksiov aus der Ukraine erstellte eine Malerei einer geneigten Gestalt mit Schatten und weißer Silhouette mit der Aufschrift: „Die Vergangenheit ist die Heimat der Menschlichen Seele.“ Nur, wenn man das Bild von dem Balkon aus oder von dem gegenüberliegenden Gebäude betrachtet, ist die Aufschrift gut lesbar.Alex findet es sehr wichtig auch der düsteren Vergangenheit des Künstlers Joseph Beuys symbolisiert durch den Personenschatten Aufmerksamkeit zu schenken. Beuys hat in seiner Soldatenzeit viele Menschen ermordet und eine sehr dunkle Zeit erlebt, die für immer einen dunklen Flecken in der Geschichte hinterlassen hat. Alex sagt „Wir stehen auf der dunklen Vergangenheit und blicken auf die Zukunft, symbolisiert durch die weißen Linien.“
Sonja Mazereel thematisiert an derselben Gebäudeseite, gleich einem Perspektivwechsel die schönen Dinge der Vergangenheit. Sonja dachte bei der Betrachtung der außergewöhnlichen Architektur des Gebäudes nämlich zuallererst an lauter ausgefahrene Schubladen mit Aufbewahrungskästen für z.B. naturhistorische Insektenpräparate. Sie gestaltete solche Schau- und Aufbewahrungskästen mit farbenfrohen Fantasieformen, die schöne individuelle Dinge, wie z.B. Erinnerungen oder Träume darstellen können. Jeder Mensch bewahrt sich Dinge auf, die mit guten Gedanken oder Erinnerungen beseelt sind und die einem Freude bereiten, wenn man sie hervorholt. Sonja wünscht sich den Passanten und den Menschen der Drogen- und Obdachlosenszene, die diesen Bereich des Gebäudes sehr stark frequentieren mit ihren farbenfrohen Fantasieobjekten Freude zu bereiten. Nachdem sie ihre eigene Arbeit fertiggestellt hatte, half sie noch beim Sipticus mit.
Oldhaus aus Neuss arbeitete ebenfalls sehr fantasievoll verschiedene Elemente aus dem Beuys Kontext in eine überdimensionierte Spraydose ein. Die Spraydose ist ein Markenzeichen des Graffiti Künstlers und oft Teil seiner Kompositionen. Indem er diese mit perspektivischen Tricks scheinbar in eine Gebäude Nische ablegte und mit bekannten Beuys Elementen befüllte, macht es den Eindruck, als könnte diese Dose bei Gebrauch eine in Honig eingelegte Beuys Essenz versprühen. Der geschriebene Text „Die Kunst ist in einer Krise. Alle Gebiete sind in einer Krise“ ist seine persönliche Abwandlung des Beuys Zitat: „Die Kunst ist in einer Krise. Wir alle sind in einer Krise.“ Kerim Musanovic aus Bosnien und Herzegowina ergänzte die Scene mit seinen realistischen überdimensionierten Bienen, die aufgrund des gegenwärtigen Insektensterbens ebenfalls in einer großen Krise stecken. Fabio Fedele ergänzte oberhalb ein weiteres Insekt und ein Schlüsselloch, welches die Frage aufwirft, was der Schlüssel zu einer Verbesserung der Krise sein kann.
Gregor Wosik aus Mönchengladbach, Anna Mrzyglod aus Düsseldorf und das Tubuku Team aus Krefeld stellen sich in ihrem riesigen gemeinsamen Fassadenmalerei an der Gebäudehauptfront selbst als Astronauten in einer spacigen Umgebung dar. Als KünstlerIn endeckt man die Welt so wie die internationale Künstlergruppe das Seidenweberhaus. Neugierig, voller Entdeckungsfreude und in der Gewissheit aus dem Erfahrenen und empfundenen etwas schöpfen zu können. Das Logo des Seidenweberhauses wurde von der Künstlergruppe perspektivisch so in ihr gemeinsames Design integriert, dass es in das Gebäude einzutauchen scheint. Die Darstellung weckt den Gedanken, dass Kunst und Kreativität dem Entdecken von und Abtauchen in die eigene Vorstellungs und Schöpferkraft ermöglicht.
Die Zusammenarbeit des Muralisten Guillem Font aus Mexiko, und der Graffitikünstler Hoker One aus Neuss und BeNeR1 aus Garbsen war genauso wie bei der vorigen Künstlergruppe eine echte Premiere. Guillem Font erstellte in seinem für ihn typischen schwarz-weiß Stil den pflanzlichen Hintergrund für Hoker Ones verwobenes Lettering der beiden Begriffe Mensch und Künstler, die sich auf Beuys‘ bekannten Ausdruck „Jeder Mensch ist ein Künstler „ beziehen. Man erkennt auf den ersten Blick eine starke ineinander verwobene Beziehung von Mensch, Künstler und der Natur, die im unteren Bildbereich über geht in eine Darstellung von Hoker Ones typischen Charaktären, die in BeNeR1 realistischen Graffiti Stil eingearbeitet wurden. Das Werk zeigt hier im Schatten des Gebäudes viele müde Gesichter, denen das Wasser bis zum Hals steht. Auf der Lichtseite des Kunstwerkes entdeckt man ein einziges erleuchtetes Gesicht einer Person, die etwas Wichtiges begriffen zu haben scheint und die verzückt hinauf blickt zur Verbindung von Mensch, Künstler und der schönen Natur. Fabio Fedele ergänzte im oberen Bildbereich humorvoll eine zum Gruseln anregende Spinne die als Konterpart wirkt.
Alina Orav aus Estland nutzt bei ihrer Darstellung eines perspektivisch gestalteten Portals, welches in das mysteriöse Gebäude hinein und hinaus führt, den Kontrast des kalten, harten aber schützenden Betons und eines warmen, zu glühen scheinenden fragilen Babys, welches mit metaphysischen Spielzeugen spielt. Für Alina, die selbst kürzlich Mutter geworden ist, ist das Baby etwas heiliges, schützenswertes. Mit ihrer Darstellung spielt die Künstlerin auf den Schutz zukünftiger Generationen an und verweist auch auf das innere verspielte, fantasievolle und kreative Kind, welches bei Jedem gerne öfter mal zum Vorschein kommen sollte.
Copyright: Fredda Wouters – Künstlerische Leiterin der Silk City Gallery
Fotos: Malte Fiedler Photography
Eine Künstlervorstellung mit biografischen Texten und weitere Informationen zum Projekt kann man unter folgendem Link finden:
https://www.krefeld.de/de/stadtmarketing/silk-city-gallery/