Nachdem die 3D Straßenmalerin Melina Berg und ich bereits im letzten Jahr unsere 3D Streetart erfolgreich in Fulda präsentiert haben, wurden wir dieses Jahr erneut von Edi Leib (Stadtmarketing Fulda) eingeladen. Außerdem eingeladen war diesmal auch mein Partner Eduardo Relero aus Madrid und so nimmt der Umfang der Streetartveranstaltung von Jahr zu Jahr zu und entwickelt sich allmählich zu einem jährlichen internationalen Streetartfestival – so die Hoffnung von Edi Leib und mir.
Da die Aktion im Oktober einem großen Wetterrisiko ausgesetzt war, haben wir uns entschieden die etwa 4x6m großen 3D Straßenmalereien im wettergeschützten Studio vorzufertigen und vor Ort in nur 2 Tagen zu finalisieren.
3D Streetart „Wenn der Hirte zum Wolf wird“
Meine 3D Streetart trägt den Titel: „Wenn der Hirte zum Wolf wird“ und wurde inspiriert durch die Bischofsstadt Fulda und die hier kürzlich stattgefundene Bischofskonferenz sowie Pressemeldungen über eine Wolfssichtung im Fuldaer Landkreis in diesem Sommer.
Das Gemälde zielt damit auf zwei verschiedene, aber sehr aktuelle Themen ab:
Erstens thematisiert das Gemälde die vielen sexuellen Übergriffe in der katholischen Kirche, die letzten Monat eines der Hauptthemen der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda waren. Fragen, die rund um die Malerei bei den Passanten aufkamen waren: Warum rennen die Lämmer nicht weg? Haben sie den Wolf etwa nicht als eine Gefahr erkannt? Warum sieht der Wolf gar nicht gefährlich aus? Ist das ein Schäferhund oder ein Wolf?
Außerdem ruft meine Malerei die Fragen auf und gibt Anregungen für die aktuelle Diskussion, wer eigentlich geschützt werden muss: Der Wolf, die Tiere der Bauern oder der Mensch? Nach etwa 150 Jahren, in denen der Wolf in Deutschland ausgerottet wurde, erobert er seit 2000 seine früheren Lebensräume zurück. Weitere Informationen zum Thema gibt der NABU in seiner Aufklärungskampagne: https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/saeugetiere/wolf/wissen/15812.html
Wird unsere Gesellschaft immer dümmer?
Eduardo Relero kritisiert auf humorvoll überspitzte Weise mit seiner 3D Illusionsmalerei den beunruhigenden Verlust menschlicher Intelligenz in unserer heutigen Gesellschaft, verursacht durch so manche Entwicklungen der Digitalisierung.
Seine Malerei stieß dabei auf die Kritik nicht Kindergerecht zu sein und Alpträume auszulösen.
Das war natürlich nicht die Intention des Künstlers. Dennoch führte es dazu, dass Edi Leib vom Stadtmarketing die Kunst vor der Kritikerin mit gut gewählten Argumenten tapfer rechtfertigte, um einen negativen Sturm der Entrüstung im virtuellen Raum zu vermeiden.
Es ist so gut und wichtig, dass es Mitarbeiter bei Städten gibt, die ihre Aufgabe mit Kulturangeboten zur kulturellen Bildung beizutragen ernst nehmen und uns Künstler dabei unterstützen Bilder zu präsentieren, die nicht einfach nur hübsch sind, sondern auch und vor Allem zum Nachdenken anregen. Die Geschichten erzählen und uns über uns selbst reflektieren lassen.
Die Situation bekräftigt meiner Meinung nach Eduardo Releros Darstellung. Denn wenn die öffentliche Entrüstung so weit greifen würde (bzw. bereits so weit greift), dass jene Kunst, die kritische Gedanken anregt, aus Angst verboten oder vermieden würde, stirbt meiner Meinung nach die Kultur. Dann stirbt die gesellschaftliche Debatte und kritische Auseinandersetzung mit sich Selbst und mit der Gesellschaft, stirbt die Intelligenz, also das, was uns Menschen ausmacht, und stirbt die Möglichkeit die eigene Zukunft zu gestalten. Dann sind wir nur noch Marionetten im Einheitsbrei und brauchen tatsächlich kein Gehirn mehr. Stattdessen lassen wir uns auf vorgefertigte Ideen/Gehirne ein, die mit der Allgemeinheit konform sind.
Ich glaube, dass wenn man einem natürlicherweise neugierigem Kind das Bild vernünftig beschreibt und erklärt hat es keine Angst, sondern lernt etwas über Bildsprache und erlebt die Perspektive eines kritisch denkenden und humorvollen Künstlers. Vorausgesetzt Eltern verfügen über eine Kompetenz des reflektierten Umgangs mit Bildern.
Bildungslücke Reflektierte Bildbetrachtung
Genau hier besteht glaube ich das eigentliche Problem: Reflektierte Bildbetrachtung ist nicht Bestandteil des allgemeinen Bildungssystems. Botschaften von Bildern werden deshalb oft nicht erkannt. Sie werden überwiegend mit einem schnellen Blick wahrgenommen und unmittelbar bewertet. Die sozialen Medien trainieren diese Wahrnehmungsweise zusätzlich durch ihre tägliche Überflutung mit schnell zugänglichen, unterhaltsamen Bildern und Videoklips. Eine Denkleistung ist hier und an vielen anderen Stellen der Bildnutzung eher unerwünscht.
Ein Beispiel dafür ist auch jener Videoklip von einem lokalen Radiosender. Hier wird nur der Effekt der Malerei beschrieben, nicht aber die Bedeutung, hinzu kommt, dass die Künstler der Veranstaltung nicht einmal beim Namen genannt werden. Ein schneller Blick reicht halt, der Rest interessiert nicht…
Die Situation führte mir folgende Kernfragen vor Augen, die sich für mich fast wie von selbst beantworten:
- Welche Aufgabe hat die Kunst/ haben Künstler*Innen in unserer Gesellschaft?
- Sollte Kunst im öffentlichen Raum immer nur schön anzusehen sein?
- Welche Aufgabe hat der Kulturbetrieb, haben Schulen und Universitäten bei der kulturellen und kreativen Kompetenzbildung?
- Welche Gesellschaftsformende Kraft hat der virtuelle Raum? Welche Gefahren birgt er?
- Welche Kunstformen werden im virtuellen Raum gefördert, welche sind unpopulär?
- Bedroht der virtuelle Raum demokratische Strukturen?
- Funktioniert die Angst vor negativen Stürmen der Entrüstung heute mehr denn je als Zensur und Blockierung der Äußerung freier Gedanken, kritischer Mitteilungen und künstlerischer Ausdrücke?
Hast Du Antworten oder Gedanken dazu? Dann hinterlasse gerne einen Kommentar